Vorarlberg als Inkubator für Tourismusinnovationen im Alpenraum.
Die touristische Nachfrage scheint keine Grenzen zu kennen. Ob Billig-Airliner, neue Angebote im öffentlichen Verkehr – vom Klimaticket bis zum 49 Euro Ticket in Deutschland: Gereist wird was das Zeug hält. Und die Destinationen sind stolz über ihren Erfolg, welcher ja immer auf den eigenen Marketingbemühungen beruht und sich in nachhaltiger Wertschöpfung ausdrückt.
↗ Größer, höher, weiter, schneller, verrückter – wir reisen uns zu Tode.
Damit verliert „Vieles“ seinen Wert.
- Was ist noch wertvoll?
- Wo liegt die Balance zwischen Reisebedürfnis breiter Bevölkerungsschichten und der Identität, der Qualität einer Destination für Einheimische und Gäste?
- Die Tourismuszahlen nach Corona zeigen, dass man offenbar alles richtig macht. Aber vielleicht messen wir die falschen Parameter?
- Warum sind beispielsweise die Gäste, aber nicht so sehr die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückgekehrt?
- Wie reagiert die Bevölkerung an Orten, an denen Tourismus zum Zusatzstress wird, wo Tourismus das zerstört, „was er vermeintlich sucht, indem er es findet“, wie es Hans Magnus Enzensberger bereits Ende der 1950er-Jahre beinahe visionär ausgedrückt hat?
- Wie reagiert die Natur, wenn Sie mit Infrastruktur überzogen wird, welche nur das eine Ziel verfolgt, ihr noch näher zu kommen?
- Wie reagiert die Kultur, wenn endlos neue Festivals entstehen, die aber weniger den USP der Region betonen, sondern eine weitere Auftrittsmöglichkeit für Tourneeensembles bilden, welche Gäste und Einheimische an immer mehr Orten in vielen anderen Ländern erleben können?
- Wo bleibt das menschliche Maß? Wo wird Tourismus zur Bereicherung der Menschen – der Einheimischen genauso wie der Gäste?
- Wo entsteht Neues im Sinne von Originellem, von Authentischem?
- Wo hat man sich weiterentwickelt und lebt mehr nicht nur von „more of the same“?
↗ Dazu einige Gedanken zu Vorarlberg
Ich nehme viele Ansätze wahr, die im Bereich der Architektur mit viel Feingefühl, mit Originalität, mit handwerklichem Können, mit Kreativität diesem Land einen innovativen Stempel aufdrücken, den ich in Vorarlberg deutlich stärker wahrnehme, als in vielen anderen Regionen.
Ich war begeistert vom Projekt „Horizon Field“ von Antony Gormley in Lech am Arlberg, das jetzt schon über 10 Jahre zurück liegt. Aber die Magie schwingt immer noch nach. Ich bin begeistert von den Bregenzer Festspielen und deren Inszenierungen bzw. den eindrucksvollen Bühnenbildern auf der größten Seebühne der Welt. Ich nehme Vorarlberg als eine Tourismusregion der feinen, der noblen Töne wahr. Das versteht man besonders, wenn man auf die andere Seite des Arlbergs blickt. Tirol lässt nach wie vor nichts aus, um als europäische Hardcore-Tourismus-Destination zu punkten. Dort tun sich die leisen Töne, die es durchaus gibt, deutlich schwerer.
Und ich blicke in die Schweiz und nach Bayern. Innovationen können durch emergente Prozesse entstehen. Und vielleicht liegt hier eine Chance, Vorarlberg doch noch weiter zu entwickeln: Man braucht nichts nachzumachen! Aber sowohl die Schweiz als beinahe immerwährendes touristisches Vorbild, und auch Bayern, das vor touristischem Selbstbewusstsein strotzt, kann auf diese Region dazwischen, auf Vorarlberg ausstrahlen.
Ein innovativer Tourismus soll den Lebensraum für Gäste öffnen, um damit selbst lebendiger zu werden.
Georg Steiner, Tourismusexperte
↗ Vorarlberg ist jene Region, wo das Beste aus allen touristischen Welten um sich herum geprüft, verworfen, weiterentwickelt oder veredelt wird
Innovationen müssen sich an nachhaltigen Ansätzen orientieren. Das gilt auch für die Weiterentwicklung der kulinarischen Angebote, die bereits auf einem guten Weg sind. Die Schweiz und auch Frankreich zeigen, was im Alpenraum noch alles möglich ist. Das gilt für den Naturtourismus, welcher nicht mehr in Saisonen betrachtet werden sollte, sondern ein Ganzjahresangebot darstellt, wetterunabhängig, involvierend in jenem Sinne, dass der Gast zum Gärtner, zum Gestalter seines Urlaubszieles wird. Ähnliches gilt für die Kultur. Vielleicht entstehen emergente Prozesse, indem Dinge zusammengeführt werden, welche die Gäste, woher immer sie auch kommen und unabhängig von kultureller Kompetenz, Erfahrung und Interessen, mitbringen. Es kann nicht mehr um die Dimensionen „größer, weiter, schneller“ gehen. Tourismus kann sich auf hohem Niveau neu definieren, indem wir menschlicher, intensiver, nachhaltiger, smarter, narrativer und experimenteller werden. So entstehen Erlebnisräume mit neuen Qualitäten. Es geht nicht mehr so sehr um eine Vielzahl an Leuchttürmen oder Attraktionen. Es geht um das Entdecken von Narrativen und darauf aufbauend um Erlebnisse, die berühren, die überraschen, die involvieren und die im besten Fall sogar geeignet sind, sie nicht mehr nur im klassischen Tourismus zu realisieren, sondern im gesamten Sozial- und Kulturraum einer Region. Es geht um die Inwertsetzung des Vorhandenen. Das soll die Tourismusangebote der Zukunft prägen.
Wir bauen auf sehr guten Rahmenbedingungen auf, müssen jedoch immer wieder aufs Neue darauf hinweisen, dass wir innovative Ansätze für den Tourismusstandort Vorarlberg zulassen müssen!
Markus Kegele, Hotelier und Spartenobmann Tourismus in der Wirtschaftskammer Vorarlberg
Ein innovativer Tourismus unserer Zeit soll dazu führen, nicht nur Gäste zu „bespaßen“, sondern den Lebensraum für Gäste zu öffnen, um damit selbst lebendiger zu werden. Tourismus darf Räume und Destinationen verändern. Aber diese Veränderung soll Freude bereiten und einen Mehrwert für alle Beteiligten stiften.
Dieser Artikel stammt aus dem Magazin Vorarlberger Wirtschaft Ausgabe #001.
Autor: Prof. Georg Steiner war von 2007 bis 2023 Tourismus-
direktor von Linz und hat Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen.